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Der soziale Aspekt von ESG-Investitionen

Jeremy Taylor

Head of Capital Markets Business Consulting, EPAM
Blog
  • Finanz-Dienstleistungen

In der heutigen Zeit unterliegen Finanzdienstleister zunehmender Beobachtung, und dies nicht wie bisher nur seitens einschlägiger Aufsichtsbehörden, sondern auch seitens einer breiten Öffentlichkeit. Die immer größere Bedeutung von sozialen Medien, Big Data, künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen brachte größere Transparenz von Geschäftsabläufen und Strategien mit sich, sowohl bei Personen- als auch Kapitalgesellschaften. Da sich Kapital und Aktiva zunehmen hin zu Millennials und Angehörigen der Generation Z verlagern, müssen Investitionsbestrebungen verstärkt die Verhinderung des Klimawandels, die Geschlechtergleichstellung, soziale Gerechtigkeit und faire Arbeitsbedingungen berücksichtigen. Eine Auswirkung dieser Entwicklung ist, dass die Umwälzungen in der Informationstechnologie die Bedeutung immaterieller Werte – beispielsweise den Wert einer Marke – verstärken und ein höheres Reputationsrisiko für Finanzdienstleister mit sich bringen.

Im Verlauf der vorliegenden Serie erläutern wir, weshalb ESG-Investitionen nicht länger ein Nischendasein einiger weniger sozial bewusster Personen und Firmen darstellen, sondern unerlässlich für die Unternehmensqualität sind, wenn es heißt, sich im Wettbewerb zu behaupten. Auch wenn, berechtigterweise, ein besonderes Augenmerk auf den Klimawandel gelegt wurde, ist das Bewusstsein für soziale Ungleichheit gewachsen. Unternehmen spielen hier eine nicht minder wichtige Rolle.

WAS IST DIE SOZIALE VERANTWORTUNG VON UNTERNEHMEN?

Soziale Gesichtspunkte sind das Vermeiden ungleicher Behandlung, Investitionen in Mitarbeiter und Gemeinschaften, Menschenrechtsthemen und die allgemeine Beziehungspflege mit Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden.

Dies umfasst unter anderem:

  • Kundenbeziehungen und Produkteigenschaften
  • Datenschutz
  • Diversität und Inklusion
  • Mitarbeitereinbindung
  • Pflege der Community
  • Menschenrechte
  • Arbeitsrichtlinien
  • Verantwortungsbewusstes Handeln bei Marketing, Forschung und Entwicklung
  • Arbeitsschutz – sowohl für Mitarbeiter als auch Kunden

Das „S“ in „ESG“ lässt sich hinsichtlich der Werte, die das Unternehmen sich auf die Fahnen schreibt und nach denen es handeln sollte, am besten wie die Beschreibung einer Respektsperson erklären. Besitzt diese Person Einfühlungsvermögen? Nimmt sie Rücksicht? Ist sie um die eigene Community bemüht? Zeigt sie den Gemeinschaften, denen sie angehört, den nötigen Respekt? Ist sie zuverlässig, ehrlich, handelt moralisch einwandfrei und offen und ist sie grundsätzlich anständig?

Wenn diese Werte in einem Unternehmen – von der Pforte bis in die Chefetage – zum Tragen kommen, entsteht ein Verhaltens- und Wertevorbild, zu dem sich alle Bezugspartner des Unternehmens bekennen können, was eine positive Dynamik fördert, aus der alle Beteiligten Nutzen ziehen können.

In gewisser Weise stellt dies jedoch eine Herausforderung der geschäftlichen und gesellschaftlichen Interessen dar. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman schrieb vor fast 50 Jahren: „Es ist die soziale Verantwortung eines Unternehmens, seinen Profit zu verbessern.“ Darauf aufbauend entwickelte er eine Reihe von Prinzipien in seinem Buch „Capitalism and Freedom“ („Kapitalismus und Freiheit“). In der heutigen, zunehmend komplexen Welt müssen Unternehmen die Erwartungen der Gesellschafter mit denen anderer interessierter oder betroffener Parteien sowie der Gesellschaft in all ihrer Breite austarieren. Die Ansicht, dass Unternehmen den Interessen von Gesellschaft und Investoren am besten dadurch entsprechen, dass sie Wertschöpfung zum Wohle aller betroffenen Parteien und nicht nur zum Wohle der Gesellschafter oberste Priorität einräumen, gewinnt zunehmend an Gewicht. Es erfolgt eine Verschiebung vom Shareholder zum Stakeholder.

Da soziale Verantwortlichkeit und Unternehmensethos zunehmend zu erfolgserheblichen Investitionsmaßstäben werden, müssen interne Vorgehensweisen umgesetzt werden, die diese Indikatoren entwickeln und definieren, was wiederum die allgemeinere Datenwelt bei der Entscheidungsfindung beeinflusst. Nachstehend erörtern wir, wie ein starkes Programm zu sozial verantwortungsvollem Handeln des Unternehmens für alle mit ihm verbundenen Akteure von Vorteil sein kann. 

MITARBEITER UND MÖGLICHE MITARBEITER

Wenn es um Mitarbeiter geht, führen Unternehmen letztlich einen Kampf um Talente. Um die intelligentesten und besten Berufsanfänger an Land zu ziehen und halten zu können, müssen Unternehmen sich gegenüber ihren Mitbewerbern in einem möglichst günstigen Licht positionieren.

Unternehmen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, hohen Ansprüchen genügen, was Handhabung der Belegschaft, Diversität und Inklusion sowie die Pflege örtlicher Communitys angeht.

Die Umsetzung von Veränderungen bei Unternehmenskultur, Geschäftsprozessen, Ausbildung, Governance und Compliance für alle Abteilungen – einschließlich Einkauf, Personal, Kundenbeziehungen und Investitionen – mag auf den ersten Blick mühsam erscheinen, bietet aber gewaltige Vorteile und ist unter Umständen auch von existenzieller Bedeutung.

KUNDEN

Zu einem früheren Zeitpunkt in der vorliegenden Serie gingen wir darauf ein, dass Kunden und Investoren sich deutlicher darüber im Klaren sind und auch mehr darauf achten, wem sie ihre Mittel zukommen lassen und mit welchen Unternehmen sie in Verbindung gebracht werden wollen. Bewertungsagenturen führen derzeit Studien dazu durch, ob schlechte Bewertungen in den Bereichen Soziales und Governance ein Leitindikator für zukünftige Fehlschläge oder geringeren Profit sind.

Im Fidelity-Bericht „Putting Sustainability to the Test“ („Nachhaltigkeit auf dem Prüfstand“) zeigten im Zeitraum von Januar bis September 2020 die Wertpapiere der Unternehmen, die von der Agentur mit einer guten ESG-Bewertung ausgewiesen wurden, mit Ausnahme vom April eine durchgehend bessere Entwicklung als Papiere von bezüglich ESC schwächer bewerteten Unternehmen. Nachhaltigkeitsinvestitionen werden inzwischen von vielen als legitime Strategie zur Profitoptimierung angesehen.

Gute CSR-Bewertungen können auch die Kundensicht auf einen Markt auf verschiedenste Weise beeinflussen, einschließlich der folgenden:

Das Vertrauen in Unternehmen und Marken hat in den letzten 25 Jahren kontinuierlich nachgelassen. Unternehmen müssen daher Vertrauen erzeugen, um ihren Marken zu neuem Erfolg zu verhelfen und Kunden an sich zu binden. Eine CSR-Strategie kann dazu beitragen, sich einen guten Ruf zu erwerben und damit das Vertrauen und die Loyalität von Kunden zu gewinnen.

Soziale Verantwortung kann dazu führen, dass Kunden Unternehmen als einen positiven Gesellschaftsfaktor wahrnehmen.

Die Kundenloyalität fußt auf Kundenerwartungen. Millennials und Angehörige der Generation Z interessieren sich nicht für Marken oder Firmen, die nur auf die Gewinnerwirtschaftung ausgerichtet sind, sondern vielmehr für solche, die der Gesellschaft auch etwas zurückgeben.

Laut einem Bericht von Aflac aus dem Jahr 2016 sehen Investoren Investitionen im CSR-Bereich üblicherweise nicht als Geldverschwendung an, sondern als Anzeichen für eine Unternehmenskultur, die weniger wahrscheinlich Fehler wie Finanzbetrug begeht. Die Studie gab an, dass 61 Prozent der Investoren CSR als einen Indikator für ethisches Unternehmensverhalten ansahen, was für geringere Investitionsrisiken steht.

DIE ÖFFENTLICHKEIT

Kein Unternehmen kann isoliert betrachtet werden. Unternehmen existieren innerhalb lokaler Gemeinschaften und müssen sich umeinander kümmern, ganz so wie es von menschlichen Nachbarn erwartet wird.

Die derzeitige Coronavirus-Pandemie hat viele Unternehmen gezwungen, sich an eine neue Betriebsumgebung anzupassen. Das wiederum hat den sozialen Kontrakt zwischen Gesellschaften und der Gesellschaft selbst verändert.

Lockdowns zwangen viele Unternehmen, deren Mitarbeiter ihre Aufgaben nicht von zu Hause erfüllen konnten, zu Entlassungen oder Kurzarbeitslösungen.

Der soziale Kontrakt zwischen Unternehmen und der Gesellschaft als Ganzes hat sich ebenfalls verändert. Staatliche Subventionen von Unternehmen mit Steuergeldern haben dazu geführt, dass diese Unternehmen weitaus genauer beobachtet werden, was sie zu einem verantwortungsbewussteren Verhalten zwang. Das ist für die Gesellschaft als Ganzes von Vorteil. Diejenigen Unternehmen, die positiv mit diesen Veränderungen umgingen – zum Beispiel, indem Werke zur Herstellung medizinischer Versorgungsgüter umgewidmet wurden –, gewannen an Ansehen und Markenbekanntheit. Diejenigen Unternehmen, die Mitarbeitern keine Unterstützung zukommen ließen und deren Unternehmensführungen es ablehnten, das eigene Einkommen zu kürzen, sahen sich einer wütenden Kampagne seitens der Medien und der Politik ausgesetzt.

Allgemein lässt sich sagen, dass Unternehmen dem Anschein nach bemüht sind, öffentliches Vertrauen zurückzuerlangen und zu erhalten. Eine kürzlich erfolgte Erklärung des Business Roundtable, einer Organisation von 200 CEOs aus den USA, betonte, dass das Primat der Gesellschafter nicht mehr im Fokus stehe, sondern Unternehmen bestrebt sind, eine Wirtschaftswelt zu fördern, die allen US-Amerikanern Vorteile bringe.

Von den drei Komponenten des Begriffs ESG wurde die soziale bisher am häufigsten vernachlässigt. Fragen zu Arbeitnehmerrechten und zu weiteren Auswirkungen von Unternehmen auf die Gesellschaft wurden unzureichend erörtert. Die Coronakrise hat diese Gewichtung verändert.

Da sich die Auseinandersetzung mit diesen Themen in der Öffentlichkeit verstärkt und da Widersprüchlichkeiten oder schlechtes Geschäftsverhalten durch soziale Medien weltweit mehr in den Fokus rücken, ist eine Priorisierung des „S“ in „ESG“ für Gesellschaften unumgänglich.

Einmal mehr bedeuten gute Unternehmensinfrastruktur und -daten nicht nur einen Schritt hin zu besserer Transparenz, sondern auch einen Leitfaden für die Unternehmensführung, wenn es um die Entwicklung nachhaltigerer Strategien geht, die ein auf Interesseninhaber ausgerichtetes Kapitalismusmodell (Stakeholder-Kapitalismus) unterstützen. Das Entwickeln interner Dashboards, die Informationen und Messwerte zu aktuellen Maßnahmen in den Bereichen Gleichberechtigung, Schulung und sozial vorteilhafter Initiativen liefern, ist von essenzieller Bedeutung. Die Vorgabe von Zielen und die Möglichkeit, Fortschritt in diesen Bereichen zu erfassen, sind ebenfalls zentrale Aspekte der Entwicklung einer Strategie auf CSR-Basis, die auch die Entscheidungsfindung unterstützen.

Unternehmen müssen alle Aspekte ihrer internen und externen Tätigkeiten bewerten und adaptieren, um Vorwürfen wie Opportunismus und/oder Greenwashing entgegentreten zu können; Charakteristika also, die nicht dem positiven Menschenbild entsprechen. Jede getroffene Entscheidung aller Mitarbeiter eines Unternehmens muss den genannten Ansprüchen genügen, die über Hochglanzbroschüren oder wohlklingende Verpflichtungen auf der Website eines Unternehmens vermittelt werden.